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Anmeldedatum: 05.10.2004
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BeitragVerfasst am: So 20 Dez, 2009 14:19 Antworten mit ZitatNach oben

Letzte Woche war mein Leben noch in Ordnung.
Jetzt stehe ich hier in der Strandbar des Weihnachtsmannes und habe Lampenfieber – vielleicht auch Grippe. Genau kann ich es nicht sagen, denn ich bin unheimlich aufgeregt und soll gleich auftreten. Nix mit „stille Nacht, heilige Nacht“, hier ist eine Aprés-Bescherungs-Party und die Meute tobt.
Vergangenen Donnerstag habe ich – wie immer sehr spät - angefangen, meine Wohnung weichnachtlich zu schmücken und hing gerade die achte Lichterkette auf, als es plötzlich an der Tür klingelte. „Nanu, Besuch so früh am Abend“, dachte ich noch, bevor mir die Luft wegblieb. Ein Weihnachtswichtel stand vor der Tür und reichte mir einen Brief. „Schöne Grüße vom Weihnachtsmann“, stieß er zwischen den Zähnen hervor und rieb sich seinen Allerwertesten, „einen schönen Gruß auch von mir, ich bin auf der Treppe ausgerutscht, geh mal streuen!“ Dann trat er mir kräftig auf den Fuß und ging schnaubend davon.
Starr wie eine Schaufensterpuppe sah ich ins Dunkel hinaus. Schmerzte mein Fuß nicht so, hätte ich gedacht, es sein ein Traum gewesen. Doch einen Brief hielt ich auch in der Hand. Langsam schloss ich die Tür und öffnete den Umschlag.
Tatsächlich, jemand hatte mit „Weihnachtsmann“ unterschrieben; es war eine Einladung nach Finnland. Für die Party nach erfolgter und geglückter Bescherung wurde noch jemand gesucht, der Baritonsaxophon spielte –die Wahl war auf mich gefallen. Sehr verwunderlich, schließlich spiele ich nur Humptata in der Feuerwehrkapelle. Doch ich fand noch ein Schiffsticket bis Oslo und einige Euro-Scheine, damit ich mir dort ein Bahnticket kaufen konnte. Wer mir da auch immer einen Streich spielen wollte, tat es sehr überzeugend.
Nun hatte wirklich ich keine Lust mehr, Strohsterne, Porzellanengel oder goldbestaubte Tannenzapfen aufzuhängen; ich wollte kofferpacken. Was braucht man in Finnland? Etwas kopflos raffte ich meine Siebensachen zusammen: Blättchen, Zahnbürste, Ausweis, Kamm, Schwimmflügel, Campingkocher, Marschgabel, Schal und eine Unterhose zum Wechseln. Schnell noch eine E-Mail an Smatjes, weil ich nicht zur Saxwelt-Silvesterparty kommen konnte – wer weiß, wann ich wieder zurückkäme, und schon ging’s los. Mein Koffer in der einen, das Saxophon in der anderen Hand schwankte ich die Gangway hoch und versuchte nicht daran zu denken, was passieren könnte.
Hatte ich mein Mundstück eingepackt? War der S-Bogen im Koffer? Wenn ich nun keinen Ton rausbringe oder einen dicken Schnupfen bekomme. Kann es sein, dass ich in der Kälte mir einem vereisten Trichter zu kämpfen habe? Vielleicht fällt mir auch ein Polster raus oder der alte Halsgurt reißt.
Von ungezählten Sorgen geplagt verging die Fahrt schnell und da stand nun ich etwas verloren in Oslo. Was wollte ich hier? Wo sollte ich hin? Ein Taxi hielt neben mir: „Rautatieasema?“ fragte der Fahrer, ich nickte nur, mein Finnisch ist recht bescheiden, darum fragte ich den Herrn am Schalter auch, ob er Englisch könne. „No Problem, Sir“, antwortetet er. „Destination anywhere!“ stammelte ich, denn ich wusste gar nicht, wohin ich sollte und zeigte ihm einfach den Brief; auf der Rückseite standen einige Sätze in finnisch, die ich nicht recht deuten konnte, aber der Bahnmensch sah mich freundlich an und sagte: Turn to platform 9 ¾, you’ll get the A-Train at the midnight hour, your wellcome.“ Dann schob er mir einen Fahrschein entgegen, ich zahlte und fand den Bahnsteig ziemlich verlassen vor.
Pue-nktlich um Mitternacht fuhr der Zug ein. Hatte ich ganz sicher eine rote Dampflok erwartet, doch es war ein moderner Schnellzug. Erschöpft sank ich auf den Sitz und schlief bald ein – mein Koffer war mir eine angenehme Stütze für meinen schweren Kopf. Ich träumte wild vom fliegenden Holländer, einem frischgeborenem Kind und dass ich es nicht abwarten konnte, zu heiraten.
Irgendwann weckte mich – ein Weihnachtswichtel und gab mir zu verstehen, dass ich mitzukommen hätte.
Durch einen verschneiten Märchenwald, ging es auf einem Schlitten zum Weihnachtsmann. Wurde da ein Kindertraum war? Im Gedanken ging ich noch Skalen durch, versuchte Eiszapfen zu transponieren, II-V-I Verbindung zu summen und Schneeflocken einzustimmen. Die Luft war klar und eiskalt, sollte ich wirklich für den Weihnachtsmann spielen?
Die ErnĂĽchterung kam bei der Ankunft; reichlich Musiker drĂĽckten sich dort rum. Hatte ich wirklich geglaubt, der Einzige zu sein? Es wurde gefachsimpelt, es wurde gelacht - so wie allerorte, wo sich mehr als ein Musikus trifft.
Eine kurze Probe, eine frische Unterhose, ein letztes Glas im Stehen – und nun warte ich hier. Da kam das Zeichen – es geht los...

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Es genĂĽgt nicht, keine Gedanken zu haben;
man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.
Karl Kraus
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